Elias war ein aufgeweckter Junge. Ein stets zerzauster brauner Haarschopf über einem jungen frischen Gesicht, das gern lachte. Drahtig und schmal war er, wie die meisten Waldarbeiter-Kinder. Zu viele hungrige Mäuler musste gestopft werden, nie schien genug für alle da zu sein. Aber Jaß, wie ihn alle nannten, störte das nicht. Wusste er doch Beeren und allerlei Wurzeln und Wildgemüse und natürlich Kräutlein im Wald zu finden. Die alte Kräuterfrau war ja auch seine Patin gewesen und so kannte er sich gut aus.
Jaß war das zehnte Kind, das dem Eichen-Hugo geschenkt wurde. So kam es, dass er an seinem zehnten Geburtstag auf der Burg seinen Dienst antreten musste. So wollte es das Gesetz. Er kam als Küchenjunge in die große Schloßküche. Er musste das Gemüse putzen, Wasser holen, hatte für das Feuer zu sorgen, Töpfe und Pfannen musste er schrubben und was sonst noch so anfiel. Der Ton in der Küche war rauh. Es wurde über dem Geklapper und Geschepper des Geschirrs laut geschrien und wenn Jaß etwas nicht schnell genug tat, gab’s auch schon die eine oder andere Kopfnuss. Vorbei waren die Zeiten, als er frei im Wald herumstreifen konnte. Er wurde stiller und sein Lachen verschwand fast völlig.
Mit der Zeit gewöhnte er sich ein. Dabei half ihm auch die Lies, seine ältere Schwester, die bei einem Bauern als Magd eine Anstellung gefunden hatte. Sie lieferte einmal in der Woche frisches Gemüse und Obst und Eier. Manchmal auch Federvieh. Wann immer sich eine Gelegenheit bot, verbrachten die Geschwister ein paar wertvolle Augenblicke. Lies brachte ihrem Brüderchen auch immer eine Kleinigkeit mit. Einen Apfel, der nicht ganz so schön rund geraten war oder ein paar Kräuter, die herrlich dufteten. Der Küchenmeister durfte sie natürlich nicht erwischen, sonst hätte es wieder eine Kopfnuss gegeben.
Es war Sommer geworden. Auf dem Schloß gab es rauschende Feste und Bälle. Doch immer wieder hörte man das laute Stöhnen des Herren in den hohen Räumen hallen. Er litt immer am nächsten Tag furchtbar an Bauchdrücken. Die Bader hatten alle Hände voll zu tun, um die Schmerzen einigermaßen zu lindern. Oftmals wurde der Herr zur Ader gelassen. Jaß hatte ihm sein Frühstück aufgetragen und war Zeuge eines solchen Aderlasses gewesen. Das konnte doch nicht gut sein. Der Herr wälzte sich im Bett und hielt sich den Bauch. Und blass war er, wie sein feines weißes Nachtgewand. Jaß wusste schon ein Mittel gegen das Bauchgrimmen. Doch war er klug genug, nichts zu sagen. Er war ja nur ein kleiner Küchenjunge.
An diesem Tag war die Lies wieder einmal zur Burg heraufgekommen. Schwer hatte sie zu tragen, war doch für den Abend wieder ein Fest angekündigt. In der Küche ging es hoch her. So wurde Jaß geschickt, um die Waren in Empfang zu nehmen. Ein Glücksfall – endlich hatten die beiden Kinder wieder einmal Zeit miteinander zu plaudern.
„Wie geht’s dem Mutterle? Und dem Vater? Sind alle wohlauf?“, wollte Jaß wissen. Lies, die alle vier Wochen einen freien Tag hatte und nach Hause kam, beruhigte Jaß.
„Alle sind wohlauf. Sie vermissen dich.“
„Ach Lies! Hier will es mir so gar nicht gefallen. Der Herr hat immer so furchtbar schlechte Laune und der Küchenmeister schreit mich immer an. In letzter Zeit gibt’s mehr Kopfnüsse denn je.“
„Aber warum denn nur?“, wollte Lies wissen. Sie wusste, dass Jaß hier nicht glücklich war. Aber sie hatten alle ihr Los zu tragen.
„Der Herr hat immer so Bauchgrimmen. Er krümmt sich vor Schmerzen, ich hab’s selbst gesehen. Bei den vielen ausländischen Schnabuliererein und dem vielen Zuckerwerk ist das auch kein Wunder. Ich wüsste schon, was ich ihm vorsetzen wollte, damit es ihm besser geht.“, antwortete Jaß.
Am offenen Fenster über den Geschwistern stand der Herr. Er hatte das Gespräch mit angehört.
„He, er da unten. Will er heraufkommen und wiederholen, was er da gesagt hat.“, rief er dem Jungen barsch zu. Jaß und Lies duckten sich. Sie hatten nicht bemerkt, dass sie belauscht worden waren. Es blieb Jaß aber nicht übrig, er musste vor dem Herren treten. Der Küchenmeister war ebenfalls herbei zitiert worden. Jaß stand vor dem Tisch, der wieder reichlich gedeckt war.
„Will er nicht seine Erklärung von eben nochmal abgeben? Oder ist er am Ende gar nur ein Großmaul?“, spottete der Herr.
Jaß straffte die Schultern, blickte dem Graf direkt in die Augen und wiederholte seine Worte. Er hätte durchaus Mittel gegen die Bauchkrämpfe und er könne darüber hinaus auch für die Gäste etwas Leckeres und Bekömmliches auftischen. Der Küchenmeister war ganz rot vor Zorn im Gesicht. Wie konnte dieser Wicht es wagen, seine Meisterschaft infrage zu stellen. Doch Jaß wandte sich nun direkt an ihn.
„Werter Herr Küchenmeister! Ihr seid wahrlich ein Künstler. Doch hier ist etwas anderes vonnöten. Ich bitte Euch, lasst mich für das nächste Fest ein Gericht zubereiten, es soll Euer Schaden nicht sein.“, Jaß lächelte den gestrengen Meister strahlend an. So konnte er nichts dagegen sagen. Und auch der Graf bestimmte, dass Jaß ein Gericht für das nächste Fest zubereiten sollte. Jaß wandte sich nochmals an den Grafen, mit der Bitte, dass dieser jeden Tag einen Kräutertee, den er – Jaß – ihm zusammenstellte morgens und abends trinken sollte. Und warme Kräuterwickel für den schmerzenden Leib. Sollte bis nach dem Fest keine Besserung eingetreten sein, so könne er – der Graf – mit ihm verfahren, wie es ihm beliebt. Der Graf willigte ein. Die ganzen Aderlässe hingen ihm zum Hals heraus und eine Linderung war bis jetzt nicht eingetreten. Mehr noch; er bestimmte, dass der sehnlichste Wunsch des Jungen erfüllt werden sollte, wenn er tatsächlich Heilung brächte und natürlich die Gäste kulinarisch überraschen könnte.
Lies hatte indes furchtsam auf ihren Bruder gewartet. Er schlich sich nochmals zu ihr hinaus und wisperte ihr etwas zu. Mit einem „Alles wird gut, du wirst sehen!“ verabschiedete er sich von seiner Schwester. Zurück in der Küche stellte ihn der Küchenmeister zur Rede. Woher er denn so genau wisse, was für den Herrn gut sei, wo doch noch nicht einmal die Bader ihm Linderung hatten verschaffen können. Jaß erzählte von seiner Patin, der alten weisen Kräuterfrau; und dass er viel von ihr gelernt habe. Dann lief er hinaus in den Kräutergarten und pflückte hier ein Blättchen oder eine Blüte und grub auch eine Wurzel aus. Aus diesen Zutaten bereitete er einen Kräutersud für die Leibwickel. Auch den Tee bereitete er dem Grafen zu und brachte ihn selbst hinauf in dessen Gemach. Er erklärte, dass der Tee so heiß wie möglich getrunken werden müsse. Zur Würze hatte er etwas Süßklee beigegeben. Der Graf verzog trotzdem das Gesicht, doch trank er die Tasse bis zur Neige aus.
Jeden Tag achtete nun Jaß darauf, dass der Graf sowohl die Leibwickel erhielt, als auch, dass er den Tee trank. Beides wirkte, die Leibkrämpfe ließen nach und am Morgen vor dem Fest erwachte der Graf frisch und ausgeruht und ganz ohne Schmerzen.
Lies war wieder da. Sie war wieder zu Hause gewesen und hatte mitgebracht, worum ihr Bruder sie gebeten hatte. Aus ihrem kleinen Körbchen duftete es aromatisch. Jaß bedankte sich herzlich bei ihr. Doch hatte er heute kaum Zeit, da er ja kochen musste. Vom Fleischer hatte er schon eine gewaltige Ochsenbrust bekommen. Die musste zerteilt und vorbereitet werden. Außerdem war da ein Faß besten Bieres, Gemüse und und und. Jaß arbeitete den ganzen Tag. Gleich früh am nächsten Morgen wurde der über Nacht eingelegte Braten in einer großen Pfanne in den Backofen geschoben. Doch das Feuer darin war nicht sonderlich heiß. Der Küchenmeister schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
„Du kannst doch den hochwohlgeborenen Leuten nicht solch gewöhnliches Mahl vorsetzen. Die sind doch ganz anderes gewohnt! Das geht doch wirklich nicht! Das Feuer brennt auch gar nicht heiß genug, das schöne Fleisch. Es wird sicherlich ganz furchtbar zäh sein.“
Doch Jaß ließ sich nicht beirren. Das Feuer blieb so klein, wie nur möglich. Stündlich begoss er die Fleischstücke mit dem Sud und fügte immer wieder etwas von den Kräutern aus dem Korb dazu. Den ganzen lieben langen Tag. Abends kamen die Gäste. Viele zeigten sich erstaunt, dass der Graf doch heute so gut aussehe und ob es ihm besser sei. Der Graf lächelte nur und nickte huldvoll.
Nach der Suppe wurde der Braten von Jaß aufgetragen. Der Saaldiener kündigte an: „Langsam geschmorte Ochsenbrust in einer Bier-Kräuter-Sauce. Dazu wird ein kräftiges Brot gereicht.“ Ein Raunen ging durch die Gäste. Ochsenbrust? Bier-Sauce? Nein, so etwas Kurioses. Sonst gab es schon mindestens Hirsch mit kandierten Früchten oder Wildgans mit einer aparten Füllung. Der Graf war doch bekannt für seinen außergewöhnlichen Geschmack.
Doch dieser ließ sich nichts anmerken und ließ den Gang auftragen. Jaß höchstpersönlich legte ihm auf. Zum Abschluß streute er ein paar rosa Blüten über das Fleisch und raunte dem Grafen zu: „Mäßigung, Herr! Nicht vergessen!“
Auch wenn das, was auf den Tellern lag, etwas „gewöhnliches“ in den Augen der Gäste war, es duftete unbeschreiblich gut. Würzig, aromatisch. Und das Fleisch war so zart, dass es buchstäblich auf der Zunge zerschmolz.
Zurück in der Küche stand der Küchenmeister an der Türe. „Und?“, wollte er wissen. „Hat es den Gästen geschmeckt?“
Jaß lächelte still, holte einen Teller mit Braten, den er im Ofen warm gehalten hatte, bestreute das Ganze mit den rosa Blüten und hielt es dem Küchenmeister unter die Nase. „Überzeugt Euch selbst, werter Herr Meister!“
Der Graf war hoch zufrieden mit dem Jungen. Das Gericht hatte alle Gäste überrascht und ihnen außergewöhnlich gut geschmeckt. Mit dem Tee und den Kräuterwickeln war das Bauchgrimmen vorbei. So fragte er Jaß, was dessen sehnlichster Wunsch sei.
„Werter Herr Graf. Ich möchte nichts lieber, als zurück nach Hause. Durch den Wald streifen. Förster würde ich gerne werden.“
Er hatte sein Wort gegeben, doch nur ungern ließ er den Jungen ziehen. Aber sorgte er dafür, dass Jaß dem Förster seiner Grafschaft unterstellt wurde und er diesem später einmal nachfolgen sollte. Wann immer dem Graf ein Zipperlein plagte, ließ er Jaß rufen und fragte, was zu tun sei. Und das Rezept für die geschmorte Ochsenbrust? Das überließ Jaß gerne dem Küchenmeister. Auch das besondere Geheimnis: die Wildkräutermischung.